Sämisch gerben, eine traditionelle Technik, erfordert viel Arbeit, aber die Mühe lohnt sich: Die besten Lederhosen bestehen aus sämisch gegerbtem Hirschleder. Keine andere Art von Leder lässt sich mit der samtweichen Qualität von sämisch gegerbten Häuten vergleichen. Es fühlt sich an wie eine zweite Haut, ist atmungsaktiv und lässt sich sogar waschen. Zudem ist die Herstellung umweltfreundlich, da keine Chemikalien nötig sind - ideal für Allergiker und Diabetiker. Erfahren Sie hier, warum sämisch Gerben wieder populärer wird.

Was ist Gerben eigentlich genau?

Bei Leder handelt es sich um die Haut von Tieren, die zum Großteil aus Kollagen besteht. Dieses Eiweiß bindet Feuchtigkeit in der Haut und hält sie weich. Doch Kollagen ist eine organische Substanz, die schnell verdirbt. Mikroorganismen verdauen das Protein, das eine fadenartige Struktur hat. Fäule setzt ein. Trocknen würde Bakterien die Lebensgrundlage entziehen. Doch auf diese Weise verhärten und verkleben die Eiweißstränge.

sämisch gegerbte Leder gestapelt

Gerben macht das Kollagen haltbar und erhält die ursprüngliche Struktur der Eiweißstränge in der Haut. Organische Substanzen werden dafür in Stoffe umgewandelt, die nicht verwesen. Das so erhaltene Leder bleibt weich und lässt sich bearbeiten.

Chromgerben in Entwicklungsländern

Heute wird der überwiegende Teil des Leders mit Chromsalzen gegerbt. Aufgrund strenger Umweltauflagen in Europa stammt chromgegerbtes Leder heute in der Regel aus China, Indien oder Südamerika. Das Gerben mit Chrom beansprucht nur wenige Tage und liefert Leder, das vielseitig verwendet werden kann.

Neben Chrom kann Leder mit Pflanzenwirkstoffen oder Alaun, Aluminiumsulfat, gegerbt werden. Manchmal werden verschiedene Techniken miteinander kombiniert. Die aufwändigste Form ist sämisches Gerben, bei dem Fischtran das Leder haltbar und geschmeidig macht.

Leder wird gebürstet

Kleine Geschichte des Gerbens

Seit der Steinzeit bemühen sich Menschen, Tierhäute haltbar zu machen. Rund 8000 Jahre vor Christus räucherten sie dafür die Häute und bearbeiteten sie mit Fett. Haltbarmachen mit Tran ist seit ungefähr 6000 Jahren bekannt. Fachleute bezeichnen die damaligen Techniken noch nicht als 100-prozentiges Gerben, weil sie nicht ausgereift waren.

Ägypten: Leder so teuer wie Gold

Die alten Ägypter gelten als die Erfinder echten Gerbens. Archäologen entdeckten eine Werkstatt von Gerbern, die 5000 Jahre alt ist. Neben halb fertigem Leder und Werkzeugen fanden sie dort Schoten der Akazie, die als pflanzlicher Gerbstoff verwendet wurden. Darüber hinaus importierten die Ägypter Sesamöl aus Syrien, um Leder herzustellen. Damals war Leder so teuer wie Gold. Die Römer verwendeten Alaunsalze und zahlreiche Pflanzenmaterialien zum Gerben, die Leder erschwinglich machten.

Gerberviertel im Mittelalter

Im Mittelalter verbesserte man die Techniken. Die Oberfläche wurde geglättet. Urin und Kot wurden häufig benutzt, um Häute haltbar zu machen. Gerber war ein einträglicher Beruf, der die Gesundheit jedoch stark belastete. Da die Arbeit zudem mit reichlich Gestank verbunden war, verbannte man die Gerber in eigene Viertel am Rand der Stadt. Neben pflanzlichen Gerbstoffen wurde auch Fischtran verwendet. Während Pflanzenmaterialien ein hartes, festes Leder ergab, lieferte sämisches Gerben bereits damals angenehm weiche Häute.

Chromgerbung seit 1858

Die industrielle Revolution und die Entwicklung der Wissenschaft führte zur Entdeckung der Chromgerbung im Jahr 1858. Im Gegensatz zu bisherigen Techniken reduzierte sie den Zeitaufwand auf wenige Stunden. Allerdings belastet Chromgerbung die Umwelt mit zahlreichen Schwermetallen. Zudem reagieren Allergiker auf chromgegerbte Leder häufig empfindlich. Ein weiterer Nachteil: Mit Chrom gegerbtes Leder erzeugt bei der Verbrennung giftige Substanzen.

Sämisches Gerben: Nachhaltig, aber aufwändig

Nur rund ein Prozent des hierzulande verarbeiteten Leders wird sämisch gegerbt. Das Wort sämisch bedeutet übrigens sehr weich: Es stammt von dem niederländischen Wort semie und beschreibt das Gefühl, wenn Sie über das samtweiche Leder streichen.

Lange Zeit wurde vor allem Hirschleder auf diese Weise bearbeitet, um daraus Lederhosen herzustellen. Mittlerweile entdecken Lederproduzenten dieses Gerbverfahren für andere Lederarten wie Schaf- und Lammfelle wieder. Der Grund: Es liefert samtweiche Häute, die atmungsaktiv und waschbar sind. Zudem ist die Herstellung umweltfreundlich. Das Leder ist für Allergiker und Diabetiker gut verträglich. Viele Leute sind heute bereit, für nachhaltig produziertes Leder hohe Preise zu zahlen.

Hirsch in freier Wildbahn



Die Vorteile von sämisch gegerbtem Leder in Kürze:

  • Unübertroffener Tragekomfort
  • Atmungsaktiv
  • Waschbar
  • Temperaturbeständig bis 70 Grad
  • Verträglich für Allergiker und Diabetiker
  • Umweltfreundliche Herstellung
  • Biologisch abbaubar

So funktioniert sämisches Gerben

Zunächst müssen alle Reste von Fleisch oder Fett von den Häuten entfernt werden. Das geschieht mit einer Messerwalze. Anschließend ruhen die Häute mehrere Wochen lang im sogenannten Äscher. Dabei handelt es sich um eine Grube, die mit einer Lauge auf der Basis von Weißkalk gefüllt ist. Diese Lauge führt dazu, dass die Häute ihre Haare verlieren. Gleichzeitig bleicht sie die Häute aus. Anschließend nennt man sie Blößen. Ausgiebiges Waschen entfernt die Lauge aus den Blößen. Walken pressen die letzte Feuchtigkeit aus ihnen heraus.

Heute Mischung aus Fischtran

Nun sind die Blößen bereit für das Gerben. Früher verwandte man für sämisches Gerben reinen Tran von Dorschleber. Das ist jedoch mittlerweile unbezahlbar. Deshalb kommen alle Arten von Fischtran zum Einsatz - eine Mischung aus Tran von Heringen, Makrelen, Sardellen und Schollen. Der dunkelbraune Tran hat einen hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren, die sich mit dem Kollagen der Haut verbinden.

Walken wechselt ab mit Trocknen

Dafür müssen die Häute zunächst mehrere Stunden lang im Gerbfass gewalkt werden. Das stellt sicher, das der Tran jeden Quadratmillimeter der Blößen erreicht. Anschließend werden die Blößen zum Trocknen aufgehängt. Der Tran braucht Sauerstoff, um zu oxidieren und so die Kollagenbestandteile der Blößen langsam in anorganische Lederfasern umzuwandeln.

Gerbermeister nimmt gewalktes Leder aus der Walktrommel

Bis das Leder fertig gegerbt ist, werden die Blößen mehrere Male mit Tran gewalkt und anschließend getrocknet. Zum Abschluß wird überflüssiger Tran in einem Sodabad ausgewaschen. In einem Millfass werden die Häute nun weich geknetet. Mit einer Stollmaschine strecken die Gerber die fast fertigen Felle.

Abschleifen für samtweiche Oberfläche

Die samtweiche Oberfläche von sämisch gegerbtem Leder entsteht aber erst durch das Abschleifen. Das ist ein schwieriger Prozess, der viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl erfordert. Das Ergebnis der Mühe ist leicht gelbliches Leder, das nun bereit ist für Färben.

Sämischleder, auch Chamoisleder genannt, erkennen Sie an der hellgelben Innenseite, denn es wird nur die Außenseite eingefärbt. Dafür werden verschiedene Pflanzenfarben mehrere Male aufgetragen. Ein Feinschliff auf der Innenseite verleiht dem Leder im wahrsten Sinn des Wortes den letzten Schliff.